Freitag, 20. Juni 2014

Der Höllenritt.

Hamburger Nachtlauf

PROLOG
Nach nur einem Start 2007 (inkl. negativer ab-in-die-Büsche-Erinnerungen und entsprechend mieser Zielzeit) und anschließenden Jahren der Abstinenz, war ich 2012 erneut beim Hamburger Nachtlauf angetreten. Damals wollte ich auch gar nicht wirklich rennen, sondern kam eigentlich nur wegen einer Frau, die... Ach egal. ;-) Nach 500m wurde dann aber doch ein echtes Rennen für mich daraus und ich galoppierte in knapp unter 61 Minuten ins Ziel.

Hmmm, wenn ich unvorbereitet so schnell laufen kann, dann wäre ja auch eine Zeit unter 1 Stunde drin, sofern ich die ersten 500m nicht vertrödle, oder? Entsprechend motiviert trat ich letztes Jahr erneut an und landete mit knapp unter 59 Minuten auf Platz 29. Wow. DAS hatte ich nun auch nicht erwartet. Vor allem, weil ich meine Klamotten erst auf den letzten Drücker abgeben konnte und im Startblock stand.
Dieses Jahr war ich deutlich besser in Form, hatte seit dem letzten Oktober voll und verletzungsfrei trainieren können. Da müsste doch auch beim Nachtlauf noch mehr drin sein, oder...?



RENNTAG
Das Wetter war fast genau wie die letzten 3 Mal: Grau, trist, windig, Wolken verhangen, Tendenz zum Regen und kühl. Ein typischer Sommeranfang in Hamburg also...
:-( 
Und ich kam erneut auf dem letzten Drücker bei der Klamottenabgabe an. Das Mädel von der Annahme fummelte vor mir solange an einer Tasche herum, dass ich stark versucht war, meinen Beutel samt Klamotten einfach über den Tresen zu werfen und „Lass liegen, ich komme in einer Stunde wieder!" zu brüllen.

Nach dem Gerenne von der S-Bahn zur Kleiderabgabe, gab es also den nächsten Aufwärmlauf zur Startbahn inkl. Klettereinlage über die Absperrung. Wenigstens stand ich so fast ganz vorn am Start, komplett aufgewärmt und hatten eine guter Spannung in den Beinen. Der wiederum ließ keine 3 Minuten auf sich warten!
 
Der Start ertönte und ab ging es in einem Höllentempo!

Die Spitzengruppe zog sich seeeehhhr schnell lang auseinander und Mourad sprintete natürlich wieder ganz vorne weg. Keine Ahnung, wie viele Läufer vor mir waren, maximal 20 vielleicht, aber auf den ersten 500 Metern verteilten die sich schon auf einer Länge von über 100 Metern. Und was auch immer die Jungs vor mir genommen haben, ich will dasselbe Zeugs! (Vermutlich dachten viele Läufer hinter mir u. a. dasselbe über mich - also völlig ok.)

Was für ein Tempo? An der Markierung für den ersten Kilometer zeigte meine Uhr eine Zeit von 3:35 min an! Meinen Puls wollte ich da lieber gar nicht erst wissen. Auch nicht bei der 2 km Marke, die schon nach ca. 7:40 Minuten von mir passiert wurde. 

Das relativ kleine Feld vor mir zog sich weiter und weiter auseinander und erweckte fast den Anschein eines Einzelrennens. Schnell hatte ich selbst eigentlich keinen Läufer mehr direkt hinter mir und der Vorsprung wurde größer. Nun war ich also schon wieder letzter im ersten Feld? Das wird wohl noch zu meinem Markenzeichen... 
:-( 

Vor mir lief jetzt ein braun gebrannter Läufer in exklusivem dunklem Triathlon-Dress. Entweder wollte er damit dem quasi Gruppenzwang zum orange-weiß-blauen Shirt-Dresscode trotzen, sich später besser auf den Fotos wiederfinden oder aber er wollte für eine bekannte Marke aus dem Triathlonbereich werben. Er machte eine verdammt gute und fitte Figur, wurde aber dann doch innerhalb der ersten 5 km von mir überholt und Meter um Meter abgehängt. Immerhin war ich so nicht mehr "letzter".
(Damals konnte ich nicht ahnen, dass sich unsere Wege in den nächsten Jahren immer und immer wieder kreuzen würden und sein Outfit allseits bekannt war.)

Einen Mitstreiter hatte ich noch relativ nahe vor mir - also in klarer Sichtweite. Der Läufer war ziemlich groß und daher war ich mir irgendwie sicher, dass genau das ihn am Ende seinen Vorsprung kosten sollte. Weniger Gewicht mit sich herumzuschleppen macht sich mit zunehmender Streckenlänge entsprechend bemerkbar. Ich sollte Recht behalten - auch wenn es noch ein paar Kilometer länger dauerte, als erhofft... 

Endlich passierte ich den Startbereich wieder. Halbzeit, die erste 7,5 km Runde war geschafft. Und hinter mir...war niemand! Der Schulterblick offenbarte mindestens 100m hinter mir keinerlei sichtbare Verfolger. Gut so. Oder deprimierend? Schon wieder "letzter".


Anfangs der zweiten Runde zog ich dann auch endlich an dem langen Läufer vor mir vorbei - wurde ja auch Zeit. Erst blieb er noch etwas an mir dran, fiel dann aber etwa auf Höhe der Moschee zurück.

Die 10,5 km Marke wurde in genau 40:00 Minuten überflogen -> das entsprachen rechnerisch ca. 38:06 Minuten auf 10 Kilometern... und bedeuten für mich eine um 20 Sekunden schnellere neue 10 km Bestzeit. Und dann noch als Durchgangszeit!
Jetzt bloß nicht einbrechen! 

Die Wasserstelle wurde ohne Verzögerung im Schweinsgalopp genommen. Dummerweise hatte ich den Trinkhalm zu Hause vergessen und so ging wieder mal die Hälfte des Wassers irgendwie und irgendwohin verloren - Luftschlucken inklusive - kühlte aber dadurch Oberkörper, Beine und Füße. (Der Fahrtwind reichte mir momentan leider nicht.)
Die 12,5 km Marke wurde passiert und meine Überschlagszeit ergab einen Zieleinlauf von unter 58 min! YES!

So ging es ab auf die Kennedybrücke. Wo zum Geier blieben eigentlich die langsam einbrechenden Läufer vor mir, an denen man sich festsaugen konnte? Es war keiner in Sichtweite. Mist.

Na wenigstens hatte ich niemanden mehr hinter mir. Hatte ich nicht?^^ Was waren denn das für Geräusche? Knapp hinter mir. Laufschritte etwa? Der Schulterblick offenbarte: Ich war nicht mehr allein!

Wo zum Teufel kam der auf einmal her? Hatte der "Lange" nur eine Regenerationsphase eingelegt und setzte jetzt zum Endspurt an? Kontrollblick. Nee, der ist etwas kleiner und jünger sowie dunkelhäutiger, aber in standardisiertem orange-weiß-blau. Also war es weder der Lange, noch der Triathlet. Nur, wo kam der plötzlich her??? Und wieso lief der keine 10 Meter hinter mir? Windschattenlaufen? Bei meiner Größe?^^ 

Ab um die Rechtskurve, parallel zum “Alsterufer“, noch 1.500m Endspurt.
Moment, Endspurt über 1,5 Kilometer? Holy Shit.  :-(

Ich hatte keine Lust den Hasen zu spielen. Möglicherweise ist er schneller als ich. Aber wenn er mich noch überholen will, dann soll er gefälligst dafür arbeiten. So richtig hart arbeiten. Also versuchte ich noch eine Schippe drauf zu legen. Irgendwie.

Das amerikanische Konsulat kam in Reichweite. Ein Baum teilte die Strecke vor mir. Ich links am Baum vorbei, er im Augenwinkel etwas hinter mir rechts vorbei. Immer noch nicht abgehängt. Tempo? Egal, auf jeden Fall am Anschlag. Pulsbereich? Vermutlich irgendwo jenseits von Gut und Böse.

Die Strecke vor uns wurde langsam voller - Spaziergänger und auch der Tross der Läufer für die einfache 7,5 km Alsterumrundung mit Start um 22:00 Uhr wurde zunehmend größer. Slalomlaufen, brüllen oder aber einen Zusammenprall riskieren?

Nun mussten meine Stimmbänder herhalten, denn ein Zusammenstoß war das Letzte, was ich jetzt noch brauchen konnte. „Weg da!“, „Läufer“ und „Achtung“ sowie vermutlich nicht druckfähige Ausdrücke entfleuchten mir. Angesichts meines Tempos und ggf. wegen der -ähm- Intonation machte allerdings auch niemand Anstalten der (in)direkten Aufforderung nicht Folge zu leisten.
Mein Schatten sparte Atem - schließlich musste er ja nichts mehr rufen. Aber half ihm das? Sollte das vielleicht den Unterschied ausmachen? 

Streckenteilung: Rechts entlang ging es gen Alster und somit zum Ziel. Die Anfeuerungen wurden größer. Das Ziel kam langsam in Sichtweite. Zwei halbstarke Vollpfosten die gemütlich auf dem Weg schlenderten allerdings auch. Andere Zuschauer warnten sie zwar, aber sonderlich zu stören schien sie das nicht. Zusammenprall unumgänglich? Einer der beiden hörte dann wohl doch etwas und ging zur Seite, der andere schien jedoch immer noch taub zu sein. Irgendwas brüllte ich ihm dann entgegen (vielleicht ein angemessen freundliches "Verpiss dich!"?), so dass er dann doch mal meinte sich umzudrehen – nur um mir dadurch erst recht fast noch direkt in den Weg zu laufen. Haarscharf vorbei.
Keine Ahnung, was ich noch als letzte (Ver)Warnung verbal von mir gab und was er darauf noch Dämliches erwiderte, aber es war mir im Vorbeifliegen zumindest noch den gestreckten Mittelfinger wert, den ich ihm hoch erhoben hinterm Kopf zeigte. Na wenn ihn das anstacheln sollte und er mir deshalb hinterher läuft, dann hätte ich wenigstens noch einen weiteren guten Grund schneller zu werden...

Wie nah war mein Schatten noch an mir dran? Unklar, aber "wer sich umdreht, der stets verliert" heißt es. Also nur noch letzte Kräfte mobilisieren und stur weiter rennen, rennen, rennen.

Zielkanal, die Stimmung stieg, Applaus brandete auf, irgendwo von links der Ruf "Andi". Nur von wem? Keine Zeit. Das Ziel lag keine 100m mehr vor mir.

Moooooment. STOPP! Wie war das vor einer Woche in Hittfeld mit dem "Freak"? Also lächeln beim Zieleinlauf! Lächeln Junge, LÄCHELN!!!

Und das tat ich, irgendwie sicher, dass ich nicht mehr überholt werde. Arme ausbreiten, breites Lächeln aufsetzen und durchs Ziel fliegen. (Ja ich weiß, das Foto sieht aus, wie bei einer entspannten Joggingrunde geschossen. Irgendwas ist ja immer.)
GESCHAFFT.




Mein Schatten hatte noch etwa 10-15m aufzuholen, dann war auch er im Ziel. Beide breit grinsend, komplett außerstande zu sprechen und völlig alle, klatschten wir uns ab. Was für ein K(r)ampf! Der Sprint meines Lebens. Definitiv.

Unfähig vorerst noch weiter zu gehen, blieb ich weiterhin im Zielbereich stehen und klatschte noch den einen oder anderen Finisher ab. Die erste Frau im Ziel erlebte ich so auch noch - unter 59 Minuten. Donnerwetter.
Das erinnerte mich schließlich daran, doch mal meine eigene Zielzeit zu checken. Völlig irre 57:27 Minuten lächelten mich von meiner Uhr an. Wow!
Meine Platzierung wusste ich zu dem Zeitpunkt allerdings noch nicht.




Irgendwann taumelte ich dann doch mal in den Verpflegungsbereich und stopfte mich dort mit allem Festen und Flüssigen voll, was mir so in die Hände fiel. 
Dieses Jahr war ich dann aber doch etwas klüger und machte mich früher auf den Weg zur Klamottenausgabe - denn wie jedes Mal im Ziel vom Nachtlauf, fing man relativ schnell an zu frieren. Zu Erinnerung: Typischer Sommeranfang in Hamburg halt...
FAZIT.
Zeit: 57:27 min (netto) = 3:50 min/km (ca. 15,7 km/h).
Klar neue BESTZEIT.  :-)
Insgesamt Platz 15 von 1.063 Männern (u. allen 533 Frauen).
Platz 2 in der AK45 von 174 Männern.
Ach ja, mein Pulsschnitt lag bei 165, der Maximalpuls bei 176.

Großen sportlichen Dank an meinen Schatten, der mir auf den letzten 1,5 km noch mal so richtig Beine gemacht hat. Im Ziel lag ich zwar ca. 10-15 Meter vor ihm, er aber in der finalen Endwertung mit einer Sekunde Vorsprung (netto) vor mir.
Wer jedoch von weiter hinten noch so weit nach vorn läuft, der hat die bessere Platzierung am Ende auf jeden Fall verdient. Klasse Leistung Sergio. RESPEKT. Und wir duellieren uns dann noch mal beim HH Halbmarathon...
;-)


Danke fürs Lesen!


 


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