Hamburger Nachtlauf
PROLOG
Nach nur einem Start 2007 (inkl. negativer ab-in-die-Büsche-Erinnerungen
und entsprechend mieser Zielzeit) und anschließenden Jahren der Abstinenz, war ich
2012 erneut beim Hamburger Nachtlauf angetreten. Damals wollte ich auch gar
nicht wirklich rennen, sondern kam eigentlich nur wegen einer Frau, die... Ach
egal. ;-) Nach 500m
wurde dann aber doch ein echtes Rennen für mich daraus und ich galoppierte in
knapp unter 61 Minuten ins Ziel.
Hmmm, wenn ich unvorbereitet so schnell laufen kann, dann wäre
ja auch eine Zeit unter 1 Stunde drin, sofern ich die ersten 500m nicht vertrödle,
oder? Entsprechend motiviert trat ich letztes Jahr erneut an und landete mit knapp
unter 59 Minuten auf Platz 29. Wow. DAS hatte ich nun auch nicht erwartet. Vor
allem, weil ich meine Klamotten erst auf den letzten Drücker abgeben konnte und
im Startblock stand.
Dieses Jahr war ich deutlich besser in Form, hatte seit dem
letzten Oktober voll und verletzungsfrei trainieren können. Da müsste doch auch
beim Nachtlauf noch mehr drin sein, oder...?
Das Wetter war fast genau wie die letzten 3 Mal: Grau, trist,
windig, Wolken verhangen, Tendenz zum Regen und kühl. Ein typischer Sommeranfang
in Hamburg also...
:-(
Und ich kam erneut auf dem letzten Drücker bei der
Klamottenabgabe an. Das Mädel von der Annahme fummelte vor mir solange an einer Tasche herum, dass ich stark versucht war, meinen Beutel samt Klamotten einfach über den Tresen
zu werfen und „Lass liegen, ich komme in einer Stunde wieder!" zu brüllen.
Nach dem Gerenne von der S-Bahn zur Kleiderabgabe, gab es also den
nächsten Aufwärmlauf zur Startbahn inkl. Klettereinlage über die Absperrung.
Wenigstens stand ich so fast ganz vorn am Start, komplett aufgewärmt und hatten eine guter Spannung in den Beinen. Der wiederum ließ keine 3 Minuten auf sich warten!
Der Start ertönte und ab ging es in einem Höllentempo!
Die Spitzengruppe zog sich seeeehhhr schnell lang auseinander und
Mourad sprintete natürlich wieder ganz vorne weg. Keine Ahnung, wie viele
Läufer vor mir waren, maximal 20 vielleicht, aber auf den ersten 500 Metern
verteilten die sich schon auf einer Länge von über 100 Metern. Und was auch
immer die Jungs vor mir genommen haben, ich will dasselbe Zeugs! (Vermutlich
dachten viele Läufer hinter mir u. a. dasselbe über mich - also völlig ok.)
Was
für ein Tempo? An der Markierung für den ersten Kilometer zeigte meine Uhr eine
Zeit von 3:35 min an! Meinen Puls wollte ich da lieber gar nicht erst wissen.
Auch nicht bei der 2 km Marke, die schon nach ca. 7:40 Minuten von mir passiert wurde.
Das relativ kleine Feld vor mir zog sich weiter und weiter
auseinander und erweckte fast den Anschein eines Einzelrennens. Schnell hatte
ich selbst eigentlich keinen Läufer mehr direkt hinter mir und der Vorsprung
wurde größer. Nun war ich also schon wieder letzter im ersten Feld? Das wird wohl noch zu meinem
Markenzeichen...
:-(
Vor mir lief jetzt ein braun gebrannter Läufer in exklusivem
dunklem Triathlon-Dress. Entweder wollte er damit dem quasi Gruppenzwang zum
orange-weiß-blauen Shirt-Dresscode trotzen, sich später besser auf den Fotos wiederfinden
oder aber er wollte für eine bekannte Marke aus dem Triathlonbereich werben. Er
machte eine verdammt gute und fitte Figur, wurde aber dann doch innerhalb
der ersten 5 km von mir überholt und Meter um Meter abgehängt. Immerhin war ich
so nicht mehr "letzter".
(Damals konnte ich nicht ahnen, dass sich unsere Wege in den nächsten Jahren immer und immer wieder kreuzen würden und sein Outfit allseits bekannt war.)
Einen Mitstreiter hatte ich noch relativ nahe vor
mir - also in klarer Sichtweite. Der Läufer war ziemlich groß und daher war ich
mir irgendwie sicher, dass genau das ihn am Ende seinen Vorsprung kosten
sollte. Weniger Gewicht mit sich herumzuschleppen macht sich mit zunehmender
Streckenlänge entsprechend bemerkbar. Ich sollte Recht behalten - auch wenn es
noch ein paar Kilometer länger dauerte, als erhofft...
Endlich passierte ich den Startbereich wieder. Halbzeit, die
erste 7,5 km Runde war geschafft. Und hinter mir...war niemand! Der
Schulterblick offenbarte mindestens 100m hinter mir keinerlei sichtbare Verfolger.
Gut so. Oder deprimierend? Schon wieder "letzter".
Anfangs der zweiten Runde zog ich dann auch endlich an dem
langen Läufer vor mir vorbei - wurde ja auch Zeit. Erst blieb er noch etwas an
mir dran, fiel dann aber etwa auf Höhe der Moschee zurück.
Die 10,5 km Marke wurde in genau 40:00 Minuten überflogen ->
das entsprachen rechnerisch ca. 38:06 Minuten auf 10 Kilometern... und bedeuten
für mich eine um 20 Sekunden schnellere neue 10 km Bestzeit. Und dann noch als
Durchgangszeit!
Jetzt bloß nicht einbrechen!
Die Wasserstelle wurde ohne Verzögerung im Schweinsgalopp
genommen. Dummerweise hatte ich den Trinkhalm zu Hause vergessen und so ging wieder
mal die Hälfte des Wassers irgendwie und irgendwohin verloren - Luftschlucken
inklusive - kühlte aber dadurch Oberkörper, Beine und Füße. (Der Fahrtwind
reichte mir momentan leider nicht.)
Die 12,5 km Marke wurde passiert und meine Überschlagszeit
ergab einen Zieleinlauf von unter 58 min! YES!
So ging es ab auf die Kennedybrücke. Wo zum Geier blieben
eigentlich die langsam einbrechenden Läufer vor mir, an denen man sich
festsaugen konnte? Es war keiner in Sichtweite. Mist.
Na wenigstens hatte ich niemanden mehr hinter mir. Hatte ich nicht?^^ Was waren denn das für Geräusche? Knapp hinter mir. Laufschritte etwa? Der Schulterblick offenbarte:
Ich war nicht mehr allein!
Wo zum Teufel kam der auf
einmal her? Hatte der "Lange" nur eine
Regenerationsphase eingelegt und setzte jetzt zum Endspurt an? Kontrollblick.
Nee, der ist etwas kleiner und jünger sowie dunkelhäutiger, aber in
standardisiertem orange-weiß-blau. Also war es weder der Lange, noch der Triathlet.
Nur, wo kam der plötzlich her??? Und wieso lief der keine 10 Meter hinter mir?
Windschattenlaufen? Bei meiner Größe?^^
Ab um die Rechtskurve, parallel zum “Alsterufer“, noch
1.500m Endspurt.
Moment, Endspurt über 1,5 Kilometer? Holy Shit. :-(
Ich hatte keine Lust den Hasen zu spielen. Möglicherweise ist
er schneller als ich. Aber wenn er mich noch überholen will, dann soll er
gefälligst dafür arbeiten. So richtig hart arbeiten. Also versuchte ich noch
eine Schippe drauf zu legen. Irgendwie.
Das amerikanische Konsulat kam in Reichweite. Ein Baum teilte
die Strecke vor mir. Ich links am Baum vorbei, er im Augenwinkel etwas hinter
mir rechts vorbei. Immer noch nicht abgehängt. Tempo? Egal, auf jeden Fall am
Anschlag. Pulsbereich? Vermutlich irgendwo jenseits von Gut und Böse.
Die Strecke vor uns wurde langsam voller - Spaziergänger und
auch der Tross der Läufer für die einfache 7,5 km Alsterumrundung mit Start um
22:00 Uhr wurde zunehmend größer. Slalomlaufen, brüllen oder aber einen Zusammenprall
riskieren?
Nun mussten meine Stimmbänder herhalten, denn ein Zusammenstoß
war das Letzte, was ich jetzt noch brauchen konnte. „Weg da!“, „Läufer“ und „Achtung“
sowie vermutlich nicht druckfähige Ausdrücke entfleuchten mir. Angesichts
meines Tempos und ggf. wegen der -ähm- Intonation machte allerdings auch
niemand Anstalten der (in)direkten Aufforderung nicht Folge zu leisten.
Mein
Schatten sparte Atem - schließlich musste er ja nichts mehr rufen. Aber half
ihm das? Sollte das vielleicht den Unterschied ausmachen?
Streckenteilung: Rechts entlang ging es gen Alster und somit zum Ziel. Die Anfeuerungen wurden größer. Das Ziel kam langsam in Sichtweite. Zwei halbstarke Vollpfosten die gemütlich auf dem Weg schlenderten allerdings
auch. Andere Zuschauer warnten sie zwar, aber sonderlich zu stören schien sie
das nicht. Zusammenprall unumgänglich? Einer der beiden hörte dann wohl doch etwas und ging zur Seite, der andere schien jedoch immer noch taub zu sein. Irgendwas
brüllte ich ihm dann entgegen (vielleicht ein angemessen freundliches "Verpiss
dich!"?), so dass er dann doch mal meinte sich umzudrehen – nur um
mir dadurch erst recht fast noch direkt in den Weg zu laufen. Haarscharf
vorbei.
Keine Ahnung, was ich noch als letzte (Ver)Warnung verbal von
mir gab und was er darauf noch Dämliches erwiderte, aber es war mir im
Vorbeifliegen zumindest noch den gestreckten Mittelfinger wert, den ich ihm
hoch erhoben hinterm Kopf zeigte. Na wenn ihn das anstacheln sollte und er mir deshalb
hinterher läuft, dann hätte ich wenigstens noch einen weiteren guten Grund
schneller zu werden...
Wie nah war mein Schatten noch an mir dran? Unklar, aber "wer sich
umdreht, der stets verliert" heißt es. Also nur noch letzte Kräfte mobilisieren
und stur weiter rennen, rennen, rennen.
Zielkanal, die Stimmung stieg, Applaus brandete auf, irgendwo
von links der Ruf "Andi". Nur von wem? Keine Zeit. Das Ziel lag keine
100m mehr vor mir.
Moooooment. STOPP! Wie war das vor einer Woche in Hittfeld mit
dem "Freak"? Also lächeln beim Zieleinlauf! Lächeln Junge, LÄCHELN!!!
Und das tat ich, irgendwie sicher, dass ich nicht mehr überholt
werde. Arme ausbreiten, breites Lächeln aufsetzen und durchs Ziel fliegen. (Ja ich weiß, das Foto sieht aus, wie bei einer entspannten Joggingrunde geschossen. Irgendwas ist ja immer.)
GESCHAFFT.
Mein Schatten hatte noch etwa 10-15m aufzuholen, dann war auch
er im Ziel. Beide breit grinsend, komplett außerstande zu sprechen und völlig
alle, klatschten wir uns ab. Was für ein K(r)ampf! Der Sprint meines Lebens. Definitiv.
Unfähig vorerst noch weiter zu gehen, blieb ich weiterhin im
Zielbereich stehen und klatschte noch den einen oder anderen Finisher ab. Die
erste Frau im Ziel erlebte ich so auch noch - unter 59 Minuten. Donnerwetter.
Das erinnerte mich schließlich daran, doch mal meine
eigene Zielzeit zu checken. Völlig irre 57:27 Minuten lächelten mich von meiner
Uhr an. Wow!
Meine Platzierung wusste ich zu dem Zeitpunkt
allerdings noch nicht.
Irgendwann taumelte ich dann doch mal in den
Verpflegungsbereich und stopfte mich dort mit allem Festen und Flüssigen voll, was mir
so in die Hände fiel.
Dieses Jahr war ich dann aber doch etwas klüger und machte mich früher auf den Weg zur Klamottenausgabe - denn wie jedes Mal im Ziel vom Nachtlauf, fing man relativ schnell an zu frieren. Zu Erinnerung: Typischer Sommeranfang in Hamburg halt...
FAZIT.
Zeit: 57:27 min (netto) = 3:50 min/km (ca. 15,7 km/h).
Klar
neue BESTZEIT. :-)
Insgesamt Platz 15 von 1.063 Männern (u. allen 533 Frauen).
Platz 2 in der AK45 von 174 Männern.
Ach ja, mein Pulsschnitt lag bei 165, der Maximalpuls bei 176.
Großen sportlichen Dank an meinen Schatten, der mir auf
den letzten 1,5 km noch mal so richtig Beine gemacht hat. Im Ziel lag ich zwar
ca. 10-15 Meter vor ihm, er aber in der finalen Endwertung mit einer Sekunde
Vorsprung (netto) vor mir.
Wer jedoch von weiter hinten noch so weit nach vorn
läuft, der hat die bessere Platzierung am Ende auf jeden Fall verdient. Klasse Leistung
Sergio. RESPEKT. Und wir duellieren uns dann noch mal beim HH Halbmarathon...
;-)
Danke fürs Lesen!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen